6.9.17 Sie sind Whistleblower – und büssen (Artikel vom Tagi, 24.8.17)
170824 Lei Sie sind Whistleblower Tagi
Sie sind Whistleblower – und büssen
Kehrtwende in der Affäre Hildebrand: Laut dem Obergericht durften geheime Daten über Spekulationen des Ex-Notenbankers der Presse zugespielt werden. Trotzdem werden die Informanten bestraft.
Von Thomas Knellwolf, erschienen im Tagi am 24. August 2017
Whistleblower hatten es in der Schweiz bislang schwer. Kamen sie vor Gericht, wurden sie immer verurteilt – wenn nicht in erster, dann spätestens in übergeordneter Instanz.
Gestern war das – wohl zum ersten Mal in der schweizerischen Rechtsgeschichte – umgekehrt, wenigstens teilweise: Das Zürcher Obergericht hat ein Urteil des Bezirksgerichts gekippt. Damit ist die spektakuläre Affäre Hildebrand um ein interessantes Kapitel reicher.
Die kantonalen Richter sehen im Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei und im ehemaligen Bank-Sarasin-Mitarbeiter Reto T. Whistleblower. Zwar haben beide das Bankgeheimnis verletzt, als sie vor über fünf Jahren die Presse über die Devisenspekulationen auf dem Konto des damaligen Nationalbankpräsidenten informierten. Doch dies war laut der Strafkammer legal. Denn alle anderen Wege seien ausgeschöpft gewesen, mit denen man Behörden und Öffentlichkeit über «das mutmasslich gravierende Fehlverhalten» hätte informieren können. Der Gang an die Presse war also als letzter Ausweg gerechtfertigt.
«Skandalöses Verhalten»
Deshalb gab es gestern in Hauptpunkten der Anklage Freisprüche – sowohl für Politiker und Anwalt Lei als auch für den ehemaligen Bank-Sarasin-Mitarbeiter T. Lei hatte die «Weltwoche» mit Kontoinformationen Hildebrands bedient. Informatikspezialist T. war mit dem «Blick» in kurzem Kontakt gestanden. Dabei war es um Devisenspekulationen auf dem Sarasin-Konto Hildebrands gegangen, die Anfang 2012 zu einem der grössten Schweizer Politskandale seit Jahren geführt hatten.
Das Obergericht geisselte am Mittwochmorgen in der mündlichen Urteilsbegründung «das moralisch höchst verwerfliche und damit skandalöse Verhalten des Nationalbankpräsidenten». Es kritisierte aber auch den Bankrat, der vor Weihnachten 2011 vorschnell verbreitet hatte, Gerüchte um Hildebrand seien «haltlos». Das entsprechende Pressecommuniqué sei «äusserst dürftig» und auch irreführend gewesen. Danach war es gemäss dem Gericht angezeigt, Medien einzuschalten. Das öffentliche Interesse habe überwogen.
Gang zu Blocher strafbar
Trotzdem wurden Hermann Lei und Reto T. auch gestern verurteilt. Beide haben sich gemäss Obergericht strafbar gemacht, indem sie Alt-Bundesrat Christoph Blocher über die Spekulation Hildebrands ins Bild setzten. Dies war noch vor der Verwedelungsaktion des Bankrats geschehen. Deshalb kassiert Lei nun wegen Gehilfenschaft zur Verletzung des Bankgeheimnisses eine bedingte Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 340 Franken. Im April 2016 hatte ihm das Bezirksgericht Zürich noch 120 Tagessätze auferlegt. Den IT-Mitarbeiter T. bestraft das Obergericht härter: Wegen Bankgeheimnisverletzung erhält er eine bedingte Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 30 Franken (Vorinstanz: 45 Tagessätze). Die Probezeit beträgt je zwei Jahre.
Korrekterweise hätten sich die beiden Verurteilten – statt an den SVP-Doyen – an eine Aufsichtsstelle wenden müssen. Dazu zählt die Strafkammer den Bankrat oder den Bundesrat. Nicht berücksichtigt hat sie, dass Blocher die pikanten Informationen zu seinem politischen Gegner Hildebrand nicht ausschlachtete, sondern sich an Bundespräsidentin Micheline Calmy Rey wandte, worauf der Bankrat sich der Angelegenheit annahm – mit bekanntem unbefriedigendem Resultat.
Entschädigung für Hildebrand
Valentin Landmann, der Verteidiger Leis, bezeichnete die Wahrscheinlichkeit als «klein», dass sein Mandant das «sorgfältige Urteil» weiterziehen werde. Man werde die Begründung aber im Detail studieren. Dies will auch Staatsanwältin Alexandra Bergmann tun, die wesentliche höhere Strafen gefordert hatte. Sie betonte, dass sie in gewissen Punkten anderer Meinung sei als das Gericht.
Bleibt es beim Urteil, müssen Hermann Lei und Reto T. Hildebrand zusammen eine Entschädigung von 13 800 Franken entrichten. Der Nationalbankchef, der nach den Enthüllungen Anfang 2012 zurücktrat, hat von den beiden Whistleblowern fast das Doppelte gefordert.