• 2.9.22 Im Land der letzten Walser

    2.9.22 Im Land der letzten Walser

    220902 SZ Lei Walser

    Kräuterschnaps und Berge
    Im Land der letzten Walser
    von Hermann Lei, Kantonsrat, Frauenfeld

    In den Sommerferien besuchte ich die Walser Südtäler in Italien. Und traf dort auf ein aussterbendes alemannisches Volk.

    «Was soj i dir säje? Gfajts der in Remmalju?» So spricht die alte Walserin in Rimella, Italien, kaum verständlich. Es ist wohl das höchste höchstalemannisch, das es gibt und die handvoll Menschen, die es in diesem Dorf im Piemont, weitab vom kompakten deutschen Sprachgebiet noch sprechen, werden in wenigen Jahren tot sein.
    Späte Völkerwanderung
    Im 9. Jahrhundert erreichten die Alemannen vom Berner Oberland her das Wallis und besiedelten das obere Rhonetal. Im 13. Jahrhundert und 14. zwang Bevölkerungsdruck die Walliser zur Auswanderung. Sie zogen in weitere hochgelegene Talstufen der Alpen und wurden Walser. Ein Teil davon besiedelte die italienischen Alpentäler südlich und östlich des Monte-Rosa-Massivs. Diese von der Schweiz nur sehr schwer erreichbaren Täler besuchte ich diesen Sommer auf Schusters Rappen. Im Ayas-Tal zeugt zwar noch der Weiler Saint-Jacques-des-Allemands von alemannischer Besiedlung, die Walsersprache ist aber längst verklungen. Das benachbarte Gressoney, walserdeutsch Greschunei Oberteil, Underteil und Mettelteil, beeindruckt durch sonnenverbrannte Walserhäuser mit Balken vor den Wänden, an denen früher die Ernte getrocknet wurde.
    Italianisierte Menschen
    Doch hier hat zuletzt der Wintersport die ehemals rein deutschen Gemeinden italianisiert. Auf dem Friedhof finden wir aber auch eine weitere, länger dauernde Ursache für das Verschwinden der deutschen Zunge in Italien: Die Staatsmacht hat vor weit über 100 Jahren schon damit begonnen, die deutsche Sprache auszurotten. So wurde die Familie Zumstein in «Delapierre» oder «Della Pietra» zwangsumgetauft und die Schneiders heissen nun Sartori.
    Zar Sogu, Im Undre Grobe
    Einen Gebirgszug weiter, in Alagna, zu deutsch Im Land, finden wir einige der schönsten Dörfer im Alpenraum. Hier wie anderswo besinnt man sich der Walser-Vergangenheit: Die zum Teil wenig intelligent italianisierten Flurnamen (z.B. Lago Obersee) sind auch auf Deutsch angeschrieben und so erfreuen wir uns an Zar Sogu, Im Undre Grobe und wie sie alle heissen. Und vor dem schönsten Haus in Alagna sitzt Roberto Stainer, mit 99 Jahren einer der letzten echten Walser und seines Zeichens Buchautor über das walserische Im Land. Herr Stainer ist hocherfreut, in seiner Muttersprache Auskunft geben zu können.
    Weltabgeschiedene Gegenden
    Nächste Station ist das Eingangs erwähnte Rimella. Diese weltabgeschiedene Gegend wirkt in seiner Bebauung und der Natur eher wie ein Tessiner Bergtal denn wie die üblichen Walsergebiete. Aber auch hier finden wir noch echte Walser, die seit hunderten von Jahren ihre Sprachinsel bewahrten. Nach schweisstreibender Überquerung eines Passes erreichen wir schliesslich Macugnaga, ein Skigebiet südlich des Schweizer Saastaales. Die Gemeindeteile heissen z.B. In der Mattu, Zer Burfuggu, Zer altu Chilchu oder Zer Tannu. Und wenn auch hier der Skitourismus und der italienische Sprachfuror die deutsche Zunge dezimiert haben, so hat sie doch in kleinen Resten bis in die Neuzeit überlebt.
    Kräuterschnaps löst die deutsche Zunge
    Mit Roberto Marrone alias Braun und seinem Freund, zwei nicht mehr ganz jungen Walser Gewährsleuten, verbringe ich jedenfalls einen lustigen Abend. Und die von den Frauen gereichten Kräuterschnäpse bewirken, dass mein Alemannisch und das hochalpine Höchstalemannisch wunderbar harmonieren.
    Hermann Lei

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