• 15.3.22 Brisanter Brief von Cassis   Neutralität – who cares?

    15.3.22 Brisanter Brief von Cassis Neutralität – who cares?

    220315 SZ Lei Neutralität

    von Hermann Lei, Kantonsrat, Frauenfeld

    Am 21. Februar hat Bundesrat Cassis in einem Brief an den Bundesrat die Neutralität beschworen. Und sie eine Woche später versenkt.

    Drei Tage vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine stellte Bundesrat Cassis dem Bundesrat eine neu verfasste Broschüre zur Neutralität zu. Die Informationen seien wichtig «im Hinblick auf eine mögliche Wahl der Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat».

    Neutralität ist Friedensstiftung
    Der Bundesrat gibt zuerst einen historischen Abriss: Die dauernd bewaffnete Neutralität wurde am Wiener Kongress 1815 international anerkannt. Das Neutralitätsrecht ist sodann in den Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten von neutralen Mächten und Personen im Fall des Landkriegs und des Seekriegs festgeschrieben, welche die Schweiz 1910 ratifizierte. Nach den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wurde die Neutralität der Schweiz «zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Friedens» 1919 im Vertrag von Versailles anerkannt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges bekräftigte der Bundesrat die Neutralität der Schweiz und mobilisierte zur Behauptung ihrer Unabhängigkeit und Neutralität ihre Armee, was von den kriegführenden Parteien anerkannt wurde.

    Dauernd, bewaffnet
    Seither gilt: Die schweizerische Neutralität ist dauernd. Die Schweiz bleibt in jedem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten neutral, wer auch immer die Kriegsparteien sind, wann und wo auch immer ein Krieg ausbricht. Jegliche Begünstigung, z.B. mit Überflugsrechten, ist verboten und in Friedenszeiten dürfen z.B. keinerlei Militärallianzen eingegangen werden. Dagegen schränkt das Neutralitätsrecht den neutralen Staat in seinen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen nicht ein. So hat dieser das Recht auf freien Wirtschaftsverkehr, solange dieser nicht militärischen Zwecken dient.

    Rekordhohe Akzeptanz
    In der Schweiz geniesst die Neutralität eine hohe Akzeptanz. In den letzten 20 Jahren stieg die Zustimmung zur strikten Neutralität auf Rekordwerte: mittlerweile befürworten rekordhohe 96% der Schweizer eine Neutralität, welche auch in militärischen Konflikten nicht Stellung für eine Partei nehmen soll. Dies, obwohl wir keine Gesinnungsneutralität kennen. Neutralität bedeutet nicht Unparteilichkeit: Auch ein neutraler Staat hat das Recht zur politischen Stellungnahme.

    Nur mit UNO-Mandat
    Besonders brisant ist, wie der Bundesrat noch vor wenigen Tagen die wirtschaftliche Neutralität definierte: Nur falls «für den betreffenden Konflikt ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorliegt, schliesst sich die Schweiz den wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Kriegsparteien an.» Mit Ausnahme des Kosovokrieges, in dem ein Teil der EU-Sanktionen mitgetragen wurde, verzichtete die Schweiz deshalb darauf, Wirtschaftssanktionen nachzuvollziehen. Dies illustriert der Bundesrat mit einem sehr interessanten Beispiel: Er habe mangels UNO-Mandat in der Ukrainekrise 2014 die EU-Sanktionen gegen das völkerrechtsbrechende Russland nicht übernommen, jedoch alle erforderlichen Massnahmen ergriffen werden, damit das Schweizer Staatsgebiet nicht zur Umgehung der Sanktionen missbraucht wird.

    Neutralität innert Tagen versenkt
    Kein Mitmachen bei Sanktionen, ausser wenn eine UNO-Mandat vorliegt: «Diese Massnahmen widerspiegeln das Neutralitätsrecht und die Neutralitätspolitik der Schweiz», schrieb der Bundesrat richtigerweise noch am 21. Februar. Ein paar Zeitungsartikel später, am 28. Februar, hat der Bundesrat sämtliche EU-Sanktionen übernommen und damit die den Kleinstaat Schweiz schützende Neutralität versenkt.

    Hermann Lei

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